Donnerstag, 18. Dezember 2014

Frohe Weihnachten allen Autorinnen, Autoren und Lesern!



 Leseprobe aus Wenn nur einer liebt von Gisela Greil


Jetzt beginnt bald die Adventszeit. Emelie hat gar keine Lust, Plätzen zu backen.

Für wen den auch, denkt sie.

Um wenigstens ein bisschen in Weihnachtsstimmung zu kommen, geht sie am Samstag Geschenke für die Kinder kaufen. Auch für John möchte sie etwas besorgen, nur, was kauft man einem Mann, der alles hat?

Emelie entscheidet sich für ein Hologramm-Bild, das in Glas geschliffen wird. Als Vorlage nimmt sie das Foto mit, auf dem sie und John vor der großen Eisenbahnbrücke stehen. Wenn das Glasbild fertig ist, will sie es gut verpacken und nach Schottland schicken.

Irgendwie ist es ihr leicht gefallen, sich ein Geschenk für ihn auszudenken. Bei ihren Kindern hat sie es schwerer.


Am Abend ruft John an, wie jeden Tag.

»Hallo Emelie, na, was hast du heute alles angestellt.«

»Ein ganz normaler Arbeitstag und am Nachmittag war ich in der Stadt, shoppen. Ich habe einen Adventkranz gekauft und Kleinigkeiten für die Kinder zu Weihnachten.«

»Apropos Weihnachten, hast du es dir anders überlegt? Möchtest du nicht doch zu mir kommen?«

»Ich habe dir doch gesagt, dass meine Kinder bestimmt sehr enttäuscht wären, tut mir schrecklich leid, aber das geht wirklich nicht.«

»Eine Frage, kannst du eigentlich Ski fahren?«

»Warum?«

»Nur so, ich hab überlegt, ob wir nach den Feiertagen nicht ein paar Tage Urlaub in einem hübschen Wintersportort machen könnten.«

»Vor gefühlten hundert Jahren bin ich recht gut gefahren, aber bestimmt seit dreißig Jahren nicht mehr.«

»Und … möchtest du?«

»Ich weiß nicht, erst muss ich dieses Weihnachtsfest hinter mich bringen, irgendwie hab ich gar keine Lust auf Weihnachten.«

»Kann ich gut verstehen, aber … überleg es dir. Denk einfach mal darüber nach!«

»Mach ich.«


Etwa eine halbe Stunde später ruft Thomas an, er entschuldigt sich bei seiner Mutter, weil er Weihnachten nicht mit ihr feiern kann.

»Anna will dem ganzen Trubel entfliehen, wir haben vor zehn Minuten Flug und Hotel für Mallorca gebucht und möchten die Feiertage dort verbringen.«

»Ist ja okay, mach dir bloß keinen Kopf wegen mir, Thomas, ich habe ja noch Maja und Alina. Macht euch eine schöne Zeit, ihr zwei.«


Am nächsten Tag sagen Alina und Maja ab, weil beide gerne mit Freunden in London feiern möchten.

Jetzt ist sie Weihnachten ganz alleine. Das wird ihr schlagartig bewusst.

Wie aufs Kommando ruft Sir John an.

»Hallo Emelie!«

»Hallo John!«

»Was ist los? Ich hör doch, dass irgendetwas nicht stimmt?«

»Eigentlich nichts, meine drei Kinder haben Weihnachten ohne mich verplant, und jetzt bin ich etwas enttäuscht deswegen!«

Endlich, denkt John.

»Emelie, du weißt ja, mein Angebot steht nach wie vor.«

»Ja, ich überlege es mir, versprochen.«

»Nicht lange überlegen, bitte, sag zu, komm zu mir, bitte!«

Kurze Stille.

»Na gut, überredet, ich komme Weihnachten zu dir. Besser?«

»Viel besser Emelie, viel besser.« Und wieder einmal hat er sein Ziel erreicht.



Kapitel FÜNFZEHN - Der 24. Dezember steht unter einem guten Stern


Die Tage bis zu den Weihnachtsferien vergehen nun doch rascher als gedacht. John hat ihr ein Ticket geschickt und ihr versprochen, sie vom Flughafen in Edinburgh abzuholen. Seit Emelie zugesagt hat, bei ihm in Schottland die Feiertage zu verbringen, wächst ihre Freude darauf Tag für Tag mehr.

Die Kinder im Kindergarten sind kaum noch zu bremsen, und als der zweiundzwanzigste Dezember endlich da ist, hat sich auch bei Emelie große Vorfreude aufs Fest eingestellt.

»Also meine Lieben, ich wünsch euch allen ein schönes Fest, und lasst euch reich beschenken«, verabschiedet sie sich von ihren Kolleginnen.


Sie fährt in eine Gärtnerei und kauft ein kleines mit Kerzen und Rosen geschmücktes Tannenbäumchen für das Grab von Michael. Als sie auf dem Friedhof ist, zündet sie ein Grablicht an und sucht einen schönen Platz für das Bäumchen.

»Der ist für dich, Michael. Ich hab dir ja erzählt, dass ich Weihnachten nicht da bin. Ich hoffe, du verstehst das, ich wäre ganz allein. Morgen Vormittag geht mein Flug, deshalb wünsch ich dir heute schon frohe Weihnachten, mein Schatz. Ich hab dich lieb, ich denk an Heiligabend ganz fest an dich und schau zum Himmel, und dann treffen wir uns in Gedanken, ja? Gut, also dann bis Heiligabend.«

Sie küsst wieder ihre Finger und fährt damit über seinen Namen auf dem kalten Grabstein.


Beim Friedhofsausgang trifft sie ausgerechnet auf Andreas.

»Hallo Emelie, warst du bei Michael?«

»Ja, und du?«

»Meine Mutter hat mich gebeten am Grab von Opa nach dem Rechten zu sehen. Was machst du jetzt, hast du Zeit? Ich lad dich auf einen Kaffee ein!«

»Viel Zeit hab ich, ehrlich gesagt, nicht, aber die Zeit nehm ich mir einfach. Gut gehen wir Kaffee trinken.«

Die beiden gehen ein paar Meter, gegenüber auf der anderen Straßenseite ist gleich ein Café.

»Was machst du an Weihnachten?«, will Andreas wissen. »Meine Kinder sind bei ihrer Mutter und ihrem Neuen, ich darf sie erst an Silvester haben, da würden sie bei meiner Frau nur stören. Die beiden wollen weggehen und feiern, und da bin ich dann auch plötzlich gut genug.« Missmutig starrt er auf seine Kaffeetasse. »Also?«, er sieht Emelie erwartungsvoll an.

»Thomas wird mit seiner Anna wegfliegen, und Alina und Maja bleiben in London ...«

»Du bist also auch alleine«, fällt er ihr hocherfreut ins Wort. »Machen wir es uns doch zusammen gemütlich!«

»Andreas, nein, lass mich bitte ausreden. Weil ich eben geglaubt habe, dass ich Weihnachten alleine bin, hat mich John Mac Kinny über die Feiertage zu sich eingeladen, und ich habe schon vor einiger Zeit zugesagt. Tut mir leid!«

Enttäuscht sieht er sie an.

»Du hast gesagt, er ist nur ein Freund. Ich hab euch Allerheiligen gesehen und jetzt das. Erzähl mir doch nicht, dass da nicht mehr ist.«

»Ich kann dir nur den momentanen Stand unserer Beziehung schildern, und demnach ist er nur ein guter Freund für mich, glaub mir!«

»Emelie, mal ganz ehrlich. Hatte ich je eine Chance bei dir?«

»Du bist und warst immer ein guter Freund für mich, aber nicht mehr, Andreas, es tut mir leid.«

»Gut, dann brauch ich mir wenigstens keine falschen Hoffnungen mehr machen.« Er trinkt aus und zahlt. »Ich muss jetzt weiter, ich wünsch dir frohe Weihnachten, Emelie.« Er gibt ihr einen Kuss auf die Wange und geht.


Emelie fährt nach Hause und packt, dann geht sie noch rasch zu Vincent und bringt ihm ein kleines Päckchen.

»Erst an Weihnachten öffnen!«, ruft sie ihm noch zu, als sie zum Gartentor hinausläuft.


In Edinburgh wartet Sir John mit Hut und schwarzem Mantel aufgeregt auf Emelie. Als er sie kommen sieht, winkt er ihr mit einem großen Strauß roter Rosen zu.

Endlich ist sie da. Er freut sich wie ein kleiner Junge.

John nimmt sie überglücklich in die Arme und gibt ihr einen zärtlichen Kuss auf die Stirn.

»Du weißt gar nicht, wie froh ich bin, weil ich dich endlich wieder in meine Arme schließen kann.« Seine Augen haben einen feuchten Schimmer und seine Stimme klingt voll Wärme.

Er drückt sie an sich und Emelie fühlt sich einfach nur wohl und geborgen in seinen Armen.

In diesem Moment weiß sie, es war die richtige Entscheidung.

Er lädt ihr Gepäck auf einen Wagen und schiebt ihn Richtung Ausgang. Nachdem er das Gepäck in den Kofferraum des Range Rovers eingeladen hat, hält er Emelie galant die Tür auf.

Als er startet, sieht er sie überglücklich an und streichelt über ihre Hand.

»Ich bin so froh, dass du da bist«, wiederholt er. Seine Augen bekommen wieder den feuchten Glanz.

»Ich freu mich doch auch, ich bin schon ganz neugierig, wie ihr hier Weihnachten feiert. Ich hatte gar keine Lust mehr auf das Fest, bis ich wusste, dass ich mit dir feiern darf, und jetzt freu ich mich wie ein kleines Kind, glaub mir!«

»Ich habe jetzt nur noch ein Problem«, gibt er etwas kleinlaut zu.

»Und das wäre?« Sie sieht ihn fragend an.

»Bei uns ist Weihnachten ohne die ganze Familie undenkbar.«

»Das heißt?«

»Na ja, ich hoffe, du hast kein Problem damit, meine Mutter und meine Schwester werden mit uns feiern, du wirst sie also kennenlernen. Ist das okay für dich?« Er sieht sie mit ängstlichen Augen an.

»Selbstverständlich, unter anderen Umständen würde ich ja auch mit meiner Familie feiern.« Sie klingt ein bisschen traurig.

John atmet auf.

»Wunderbar, Weihnachten kann kommen.«


Die Landschaft ist nur leicht überzuckert, aber es ist viel kälter als in Deutschland. Der Raureif glitzert in der Sonne, es ist ein schöner Anblick.

»Und hast du dir das mit dem Winterurlaub überlegt?«

»Ich würde wirklich gerne, aber ich befürchte, dafür reicht mein Urlaub nicht aus, tut mir leid!«

»Wir werden sehen.«

Vor Abbywood Castle steht ein riesiger Weihnachtsbaum mit großen, roten Schleifen, die ebenfalls voll Raureif sind und in der Sonne glitzern.

An der Steintreppe zum Eingang hängen verzierte Girlanden und über dem Eingang hängt ein riesiger Buschen Mistelzweige an einem roten Band.

»Du weißt, was der bedeutet, oder?«

Emelie nickt.

Beide gehen durch die Tür und Sir John nimmt sie in die Arme und gibt ihr einen zärtlichen Kuss auf den Mund. Er sieht sie mit glühenden Augen an und küsst sie noch einmal, leidenschaftlich.

Miss Molly kommt.

John lässt Emelie los.

»Herzlich willkommen, Miss Fischer, ich hoffe, Sie verbringen schöne Weihnachtstage bei uns. Molly lächelt sie über ihre große Hornbrille hinweg an.


»Komm.« John nimmt Emelie an der Hand und zieht sie die Treppe hinauf, dabei kommen sie an der Bibliothek vorbei.

Die Tür steht ein Stück offen, Emelie kann ein großes Bild entdecken.

»Moment mal, bitte.« Sie bleibt stehen und zieht ihn ein Stück zurück. Sie öffnet die Tür weiter. Über dem Kamin hängt ein großes Portrait in Öl. Fragend blickt sie zu John.

Er wird etwas rot und versucht, zu erklären:

»Ich habe ein paar so schöne Bilder von dir, und in dem Zimmer halte ich mich sehr viel auf, da steht mein Schreibtisch, an dem ich die meiste Zeit arbeite und … ich wollte nicht immer nur meine verstorbene Verwandtschaft anstarren, und da hab ich mir gedacht … und dann hab ich dich malen lassen. Das Bild ist sehr gelungen, oder?«

»Man kann es kaum von einer Fotografie unterscheiden. Aber muss es so groß sein, ginge es nicht eine Nummer kleiner?«

»Also ich finde, es hätte ruhig noch größer sein können. Und jetzt komm!« Er zieht sie wieder hinter sich her, sie steigen die große Treppe ins obere Stockwerk hinauf.

Vor ihrer Zimmertür bleibt er stehen und sieht nach oben.

Verdammt, schon wieder ein Mistelzweig. Emelie sieht sich um.

An allen Türen, an denen die Möglichkeit besteht, dass Emelie durchgehen könnte, hängen Mistelzweige.

»Du Schuft, denkst du nicht, dass du diese Tradition etwas überstrapazierst?«

Er lächelt sie vielsagend an.

»Kann man zu viel küssen?«, raunt er ihr ins Ohr.

Emelie schüttelt den Kopf und geht in ihr Zimmer. Und schon hat er sie wieder im Arm und gibt ihr einen Kuss.

Das Zimmer ist wunderschön weihnachtlich dekoriert, es steht sogar ein großer Weihnachtsbaum darin.

Emelie staunt.

»Da hat sich aber jemand sehr viel Mühe gegeben!«

»Ich möchte doch nur, dass du dich wohlfühlst.«

»Glaub mir, ich fühle mich sehr wohl hier bei dir.«

»Was möchtest du noch unternehmen?«

»Steht der Mini noch in der Garage?«

Er lächelt.

»Selbstverständlich, er wartet auf dich.«

»Dann lass uns noch irgendwo hinfahren, wo es nicht so viele Mistelzweige gibt.« Emelie zwinkert ihm zu. »Ich zieh mir nur rasch einen wärmeren Pulli an, bei euch ist es ja wahnsinnig kalt.«

John setzt sich bequem in einen großen Ohrensessel.

»Hast du nicht verstanden, ich möchte mich umziehen.«

»Und ich möchte dir dabei zusehen.« Seine Stimme klingt ganz dunkel und sexy, seine Augen leuchten.

»Na gut, eine extra Vorstellung für den Herren.« Sie kramt einen warmen Wollpulli und eine dicke Jeans aus dem Koffer, ruft »oder auch nicht!« und verschwindet damit im Badezimmer.

Als sie wieder herauskommt, sitzt er immer noch lächelnd und kopfschüttelnd in dem großen Sessel.

»Du hast gewonnen, lass uns fahren.«

Die beiden gehen zum Mini. Er gibt Emelie die Autoschlüssel und setzt sich auf den Beifahrersitz.

»Wohin?«, fragt sie.

»Edinburgh.«

»Gut die Strecke kenn ich, glaub ich jedenfalls, wenn ich mich verfahre, musst du mir helfen. Und was machen wir in Edinburgh?«

»Das Kaufhaus Jenner hat den größten Weihnachtsbaum, den würde ich dir gerne zeigen, außerdem können wir noch über den Weihnachtsmarkt bummeln, und wenn du noch irgendetwas brauchst, die Geschäfte sind noch geöffnet.«


Der Weihnachtsbaum ist wirklich imposant, der Weihnachtsmarkt ist nicht mit jenen in Deutschland zu vergleichen. Es ist mehr ein Kirmes mit Riesenrad und was so dazugehört, Weihnachtsstimmung kommt trotzdem auf.

Emelie ist richtig glücklich, es geht ihr gut.

»Ich denke, bis wir heute Abend zurück sind, wird meine Mutter auch angekommen sein. Mach dir keine Sorgen sie, kann ganz nett sein.« John zwinkert ihr zu und nimmt sie fest bei der Hand. »Sie mag jeden, den ich mag, und dich mag ich ganz besonders.«


Vor Abbywood Castle parkt ein schnittiger Mercedes in Silbergrau.

»Meine Mutter ist schon da.« John zeigt auf den Wagen.

Emelie wird ganz flau im Magen.

»Und wenn sie mich nicht mag?«

»Mach dir keine Sorgen, glaub mir, sie mag dich!«

Als beide die Treppe zum Eingang hochlaufen, hält er bei der Eingangstür kurz an, lächelt und gibt ihr einen Kuss.

Ach ja, der Mistelzweig. Emelie schüttelt den Kopf und muss lachen.


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