Mittwoch, 11. Juni 2014

Leseprobe aus Kapitel 5 - "Wenn nur einer liebt"



Samstagmorgen. Michael war joggen und hat frische Brötchen fürs Frühstück dabei. »Guten Morgen!« Atemlos gibt er Emelie einen Kuss, die bereits mit frischem Kaffee auf ihn wartet. »Hast du gesehen, am Nachbarhaus steht ein Umzugswagen. Ich glaub, wir bekommen neue Nachbarn.“

Emelie steht auf und schaut zum Küchenfenster hinaus. »Du hast recht, die Leute scheinen ein kleines Kind zu haben, sie laden Kindermöbel aus. Vielleicht kommt es ja zu uns in den Kindergarten.« »Langsam mit den jungen Pferden.« Michael schüttelt lachend den Kopf. »Du kennst die Leute doch noch gar nicht.« Glücklich sieht er seine Frau an. Wie schön sie doch immer noch ist. Emelie schmiert sich ein Brötchen und beißt herzhaft hinein. »Wolltest du nicht …« »Was meinst du?«, fragt sie mit vollem Mund. »Ach, nichts.« »Jetzt sag schon, raus mit der Sprache!« »Aber nicht, dass du da was in den falschen Hals bekommst!« »Also?« »Na ja, ich meine nur. Ich war heute Morgen schon joggen, und du hast gesagt, wenn dein Urlaub vorbei ist, dann … nicht, dass mir deine Figur nicht gefällt, ich liebe jedes Pfund an dir. Aber wenn du selber nicht mehr mit dir zufrieden bist, dann bist du unausstehlich!« Sie boxt ihn an die Schulter. »Ich versteh schon«, sie zieht einen Schmollmund und tut beleidigt, »ich gefall dir nicht mehr.« »Nein, nein verdammt, so hab ich das doch nicht gemeint. Dass ihr Frauen dieses Thema immer in den falschen Hals bekommt, du hast doch gesagt …« Emelie beginnt lauthals zu lachen. »Du kennst mich wohl immer noch nicht gut genug, mein armer, dummer Mann! Du hast doch recht, und ich weiß sehr genau, was ich gesagt habe. Ab Morgen pass ich wieder mit dem Essen auf, und Sport wird auch wieder mehr gemacht. Nächsten Samstag holen wir die Brötchen gemeinsam nach dem Sport«, sagt Emelie, beißt genussvoll in das Brötchen und zwinkert Michael dabei zu.

Nachmittags gegen fünfzehn Uhr schellt die Türklingel. Emelie öffnet. Vor der Tür steht ein junges Pärchen mit einem kleinen, etwa drei Jahre alten Mädchen. Die Frau ist groß, schlank und blond, in ihrem geblümten Kleid sieht sie richtig toll aus. Er hat eine extrem sportliche Figur, könnte ein Bodybuilder sein, oder zumindest jemand, der seine ganze Freizeit im Fitnessstudio verbringt. Außerdem hat er ziemlich lange Haare, die locker zu einem Zopf gebunden sind. »Guten Tag.« Der Mann gibt Emelie freundlich die Hand. „Wir wollen uns nur kurz vorstellen, wir sind heute in das Haus nebenan eingezogen. Ich bin Vincent Müller, kurz Vince, und das sind meine Frau Klara und unser Töchterchen Lisa. Wir wollen nur kurz Hallo sagen.“ »Schön, freut mich. Wir haben den Umzugswagen schon gesehen, viel Arbeit, so ein Umzug, oder? Auf jeden Fall freue ich mich über neue Nachbarn, noch dazu junge Leute, die wissen, was sich gehört. Die letzten Nachbarn haben weder gegrüßt, noch haben sie irgendwie gezeigt, dass ihnen Nachbarschaft irgendetwas bedeutet. Also, ich freue mich, übrigens, ich heiße Emelie, Emelie Fischer. Vielleicht könnte man sich ja mal zum Kaffee treffen, wenn der Umzugsstress vorbei ist.« »Eine extrem gute Idee.« Der neue Nachbar lächelt sympathisch. »Auf das Angebot kommen wir sicher gerne zurück, jetzt möchten wir aber nicht länger stören, und außerdem haben wir ja noch eine Menge Arbeit vor uns.«

Emelie schließt die Tür hinter sich. Sie geht in den Garten zu Michael. »Wer war an der Tür?« »Unsere neuen Nachbarn haben sich eben vorgestellt, nette Leute, Müller, glaub ich. Er ist ein richtiger Schrank, Bodybuilder oder so was. Könnte ein Türsteher sein, ich glaub, an dem kommt keiner vorbei, wenn er es nicht will. Und sie, eine sehr attraktive Person, ich glaub, die könnte dir gefallen.« »Mir gefällst doch nur du! Glaub mir.« Er nimmt sie um die Hüfte und zieht sie zu sich heran. Leise flüstert er ihr ins Ohr: »Ich liebe doch nur dich.« Er gibt ihr einen langen, langen und leidenschaftlichen Kuss, dann beginnt er an ihrem Ohrläppchen zu knabbern und geht mit seinen Küssen auf Entdeckungsreise. Michael weiß genau, was seiner Emelie gefällt. Nach ein paar weiteren Küssen hat er sein Ziel erreicht, und beide verschwinden im Haus. Sie sind alleine, sturmfreie Bude sozusagen, und solche Zeiten sind kostbar, man muss sie nutzen.

Die ersten zwei Tage sind extrem hart für Emelie und ihre Diät. Maja und Thomas lästern nur, und Michael ist auch nicht wirklich eine Stütze. Am ersten Abend ihrer Diät öffnet er zum Fernsehen ausgerechnet eine Tüte Gummibärchen und lässt auch noch die halbe Tüte offen liegen. Gemein, findet Emelie, aber sie bleibt standhaft. Der nächste Tag ist wieder hart, eine Kollegin hat Geburtstag und natürlich Kuchen dabei. »Nein danke, ich glaub, ich hab mir gestern den Magen verdorben. Mir ist heute gar nicht gut«, lügt Emelie. Von der Diät will sie noch nichts erzählen. Wenn sie nämlich nicht durchhält, ist es peinlich, wenn sie vorher geprahlt hat, wie viel sie abnehmen will. Das muss jetzt noch gar keiner wissen, wenn die ersten Erfolge sichtbar sind, reicht’s auch noch, findet sie. Nach der Arbeit quält sie sich noch eine halbe Stunde durch den Park. Am Abend gibt’s Salat mit Putenstreifen, und um zwanzig Uhr hat sie so viel Hunger, dass sie lieber gleich schlafen geht, um nicht mehr in Versuchung zu geraten.

Am nächsten Morgen findet Emelie einen Zettel im Briefkasten, als sie die Zeitung holt. »Wir sind eingeladen«, sagt sie, als sie in die Küche kommt. »Von wem denn?« Emelie setzt sich an den Frühstückstisch. Sie gibt Michael den Zettel und die Zeitung. »Von unseren neuen Nachbarn, Sonntag zum Kaffee.« Sie seufzt. »Gott, da gibt’s bestimmt Kuchen. Wenn ich keinen esse, ist das unhöflich, oder?« »Du hast vielleicht Sorgen, dann sparst du eben beim Frühstück oder Mittagessen, dann hast du Luft für ein Stück Kuchen.« »Du hast es da viel einfacher, bei dir schlägt ja nichts an. Ich brauch ein Stück Kuchen nur anzusehen und schon hab ich es auf den Hüften.« »Arme Frau, muss ich dich jetzt bemitleiden?« Er zieht eine mitleidsvolle Miene, was ihm aber nicht ganz gelingt. »Ich muss jetzt zur Arbeit, wer bemitleidet mich?« »Hau bloß ab!« »Ohne Kuss gehe ich aber nicht.« »Okay, komm schon her.« Sie drückt ihm einen leichten Kuss auf die Wange. »Mehr hast du dir nicht verdient!« Er lächelt und geht kopfschüttelnd aus der Tür.

Emelie nimmt den Müll mit nach draußen, als sie das Haus verlässt, um zur Arbeit zu gehen. Ihre neue Nachbarin, Klara, ist mit Töchterchen Lisa im Garten. »Guten Morgen!« »Guten Morgen! Und, schon ein bisschen eingelebt?« »Na ja, momentan hab ich von der neuen Umgebung noch nicht viel gesehen. Mein Kopf steckt den ganzen Tag in Umzugskartons, ich hab noch so viel zu tun. Aber Lisa ist langweilig, deshalb muss ich gezwungenermaßen pausieren.« »Ein Vorschlag, ich arbeite in einem Kindergarten ganz in der Nähe, wenn Lisa möchte, darf sie mich gerne begleiten und eine Art Schnuppertag absolvieren. Dann können Sie in Ruhe auspacken.« »Das wäre ja super. Lisa, möchtest du?« Lisa ist sofort begeistert, sie läuft ins Haus und kommt in anderen Schuhen wieder zurück. »Fertig«, ruft sie und nimmt Emelies Hand. Der Tag im Kindergarten vergeht wie im Flug. Emelie bringt Lisa, die müde und erschöpft ist vom vielen Spielen, am Mittag wieder nach Hause zu ihrer Mutter. »Kaffee?«, fragt diese dankbar. »Ja, gerne. Hätte ich mir zu Hause sowieso gleich gegönnt.«

Das Chaos ist ja bereits zu einem sehr geschmackvollen Zuhause geworden, staunt Emelie. Lisa geht in ihr Zimmer und legt sich aufs Bett. Sie schläft sofort ein. Klara kommt mit zwei Kaffeetassen und einer Schale Plätzchen zurück. »Kaffee gerne, aber bitte keine Plätzchen, ganz ehrlich, ich versuch gerade ein bisschen abzunehmen, aber diese Probleme kennen Sie ja nicht, wenn ich Sie so ansehe.« »Wollen wir nicht du sagen, da quatscht es sich doch viel besser, oder?« Klara lächelt Emelie an. »Gerne.« »Ja, es stimmt, ich hab gute Gene, ich kann essen, was ich will, ich nehme nicht zu.« »Beneidenswert!« Emelie lächelt gequält und nimmt einen Schluck Kaffee. »Wenn dir einer helfen kann, dann ist das mein Mann. Der macht das ja sozusagen beruflich. Irgendein reicher Schnösel möchte, dass er seine Frau auf Vordermann bringt, die hat wohl einen Personaltrainer dringend nötig. Er redet ja nicht viel von seiner Arbeit, aber das scheint mir ein sehr lukrativer Job zu sein, weil wir deshalb extra umgezogen sind. Wenn du möchtest, rede ich gerne einmal mit ihm, er hat bestimmt ein paar gute Tipps für dich.« »Das wäre ja super, da wär ich dir wirklich sehr dankbar. Jetzt halte ich dich aber nicht mehr länger auf, sonst ist der Vorsprung, den ich dir durch Lisas Kindergartenbesuch verschafft habe, wieder flöten.« Sie trinkt aus, bedankt sich für den Kaffee und geht. »Also dann bis Sonntag, ihr habt doch unsere Einladung gefunden, oder?«, fragt Klara an der Tür. »Natürlich, ich freu mich schon, bis Sonntag.«

Am Abend ruft Alina an, das jüngste ihrer drei Kinder. Sie ist zurzeit bei einem Praktikum in Berlin. Emelie erzählt ihr von den neuen Nachbarn und lauter belangloses Zeug vom Ausflug. Sir John Mac Kinny erwähnt sie mit keinem Wort. Der Gedanke an ihn schmerzt. Er war doch so wahnsinnig nett und zuvorkommend. Ein richtiger Gentleman und dann das. Sie muss immer wieder an seinen eiskalten Blick denken, als er ihr gesagt hat, dass sie sich scheiden lassen müsse. Wie man sich doch in einem Menschen täuschen kann. Sie schüttelt den Kopf, als ob sie die negativen Gedanken abschütteln könnte.

Es ist Sonntagnachmittag. Emelie und Michael haben sich hübsch gemacht. Als Geschenk an die neuen Nachbarn gibt’s nach altem Brauch Brot und Salz, das Emelie in einen Korb drapiert hat. Die Kinder kommen nicht mit. Jedes hat mit Freunden andere Pläne geschmiedet. Das langweilige Geschwafel von euch muss keiner von uns haben, so der Originalton von Alina. Ist sowieso besser, wir wollen doch unsere neuen Nachbarn nicht überfordern, und Kaffee trinken ohne die Kids ist viel entspannter, denkt Emelie. Um fünfzehn Uhr stehen die beiden mit Blumen und dem Korb vor der Tür der Nachbarn. Als Michael gerade auf die Klingel drücken will, ist Vincent offensichtlich schneller und öffnet bereits die Tür. »Hallo, schön, dass ihr da seid. Ich hab euch schon kommen sehen.« Michael bleibt der Mund offen stehen. Verdammt, er ist auch trainiert, aber der Kerl ist so was von fit, das muss er neidlos anerkennen. Emelie hat nicht übertrieben, als sie sagte, dass der neue Nachbar Türsteher sein könnte. Beide Arme sind voll Tattoos, und er trägt einen Ohrring. Wie er so da steht mit seinem schwarzen Muskelshirt, fühlt sich Michael als Würstchen dagegen. Klara hat sich wirklich viel Mühe gemacht und die Wohnung mit Kerzen und Blumen dekoriert, sogar zwei verschiedene Torten hat sie gebacken. Eine Schokosahnetorte und eine Quarktorte mit viel Obst. »Ein Diätrezept mit Magerquark, extra für dich, damit deine Diät nicht in Gefahr ist.« Sie lächelt Emelie an.

Das ist ein guter Moment für Vincent, um einzuhaken. »Du möchtest abnehmen und fitter werden, hat mir meine Frau erzählt. Wenn du Hilfe brauchst, ich bin für dich da. Wir können gerne zusammen trainieren, ich denke, dass ich dir einiges zeigen kann. Natürlich will ich mich nicht aufdrängen.« Er sieht sie forschend an. »Das wäre ja super, ich bezweifle nur, dass ich mit dir mithalten kann.« »Ich richte mich da ganz nach dir«, sagt Vince verständnisvoll und lächelt. »Okay, dann wäre das auch geklärt, du kannst ruhig mit meiner Frau trainieren – aber nicht mehr!« Michael hörte sich etwas eifersüchtig an. »Und pass bitte auf, dass sie sich nicht übernimmt!« »Wo denkst du hin, ich bin ein Profi, glaub mir, ich weiß, was ich tue.« »Aber geht das überhaupt mit deiner Arbeit, du hast bestimmt nicht so viel Zeit.« »Kein Thema, die Zeit nehme ich mir gerne.« Jetzt wirkt Vincent etwas angespannt, er redet wohl nicht gerne über seine Arbeit. Schnell findet er eine geschickte Überleitung auf seine Tochter, die sitzt die ganze Zeit in ihrer Spielecke und beschäftigt sich mit ihren Puppen. »Du arbeitest im Kindergarten, sagt meine Frau?« »Ja, schon eine halbe Ewigkeit, ich hab den Beruf auch einmal vor hundert Jahren gelernt.« »Denkst du, dass wir für Lisa einen Kindergartenplatz bekommen könnten, auch so unterm Jahr?« »Da lässt sich bestimmt was machen, ich frag morgen einmal nach und gebe euch dann Bescheid.« »Und wann möchtest du mit dem Training beginnen, ich würde vorschlagen, auch gleich morgen. Wir beginnen mit einfachem Lauftraining von sechs bis sieben Uhr, dann bleibt noch genug Zeit für ein gesundes Frühstück.« Und gesund hat er extra stark betont. Wow, der kniet sich aber gleich voll rein, hoffentlich hab ich keinen Fehler gemacht, denkt Emelie und isst den letzten Rest von ihrem Kuchenstück.

Am Abend, nachdem die Fischers gegangen sind und Klara im Kinderzimmer mit Lisa beschäftigt ist, nimmt Vincent das Telefon und wählt eine Nummer in Schottland. »Sir, Vincent Müller, Sir … Kontaktaufnahme erfolgreich abgeschlossen, morgen beginnen wir mit der ersten Trainingseinheit … natürlich, Sir … nein, sie ahnt nichts, wir sind nur die netten Nachbarn … alles klar, ich melde mich in zwei Wochen wieder.« »Wer war am Telefon, Schatz?«, fragt Klara, als sie hereinkommt. »Nur mein Arbeitgeber, nichts Wichtiges.«


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Wenn nur einer liebt
Roman von Gisela Greil
ISBN: 978-3-9503762-0-3
Seitenanzahl: 406 (PDF)
Erscheinungsdatum: 6. Mai 2014

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